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Kontaktverbote & autoritäre Versuchungen

Die Corona-Krise ist sehr schnelllebig. Was gestern bestätigte wissenschaftliche Erkenntnisse oder politische Einschätzungen waren, kann morgen schon nicht mehr aktuell sein. Die Ereignisse überschlagen sich – diese nachzuvollziehen, einzuordnen und darauf zu reagieren, ist für Personen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft keine einfache Aufgabe. Dennoch wollen wir uns positionieren und eine Einordnung wagen: es gibt Entwicklungen, zu denen wir nicht schweigen wollen – sie bereiten uns große Sorge.

Vor zwei Tagen, am Sonntag den 22.03. wurden seitens der Bundesregierung die Maßnahmen zum Kontaktverbot verkündet, welche in Mecklenburg-Vorpommern am 23.03. durch die Landesregierung umgesetzt wurden. Laut dieser Kontaktverbote dürfen sich Menschen im öffentlichen Raum nur allein oder zu zweit aufhalten – außer sie wohnen zusammen. 

Wir stehen diesen Maßnahmen skeptisch gegenüber. Wir sind skeptisch, da nicht nur die medizinische Wirksamkeit dieser Maßnahmen nicht abschließend geklärt ist. Darüber hinaus sehen wir derzeit verschiedenste Szenarien auf uns zu kommen, die uns Sorge bereiten.

Kontaktverbote – Einschränkung von Grundrechten

Vorweg: Wir wissen um die Notwendigkeit des Schutzes der Bevölkerung vor dem Virus und selbstverständlich braucht es notwendige Maßnahmen zur Eindämmung – das steht außer Frage. Die Eindämmung des Virus – ein Kampf gegen die Zeit. Dieser immense Zeitdruck führt dazu, dass Gesetze im Eiltempo beschlossen werden.

Das bedeutet: dies erschwert eine breite gesellschaftliche Debatte über die Sinnhaftigkeit und Auswirkungen neuer Gesetze – die öffentliche, zivilgesellschaftliche Kontrolle darüber wird zurückgeschraubt. Hinzu kommt: weniger soziale Begegnungsräume (der Austausch mit Kolleg_innen während der Mittagspause, der Schnack auf der Straße, beim Bier in der Kneipe oder Kaffeklatsch am Sonntag) erschweren den Austausch über das tagespolitische Geschehen.

Die beschlossenen Maßnahmen bedeuten die Einschränkung unserer Rechte im Bezug auf unsere Bewegungs- und Versammlungsfreiheit. Nicht ohne Grund weisen verschiedene Grundrechtler_innen* darauf hin, dass solche Maßnahmen ausschließlich unter der Abwägung der Verhältnismäßigkeit beschlossen werden können. Demnach müssen die von der Landesregierung beschlossenen Maßnahmen befristet sein, um die Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten.

Gesetzesentwurf als Einfallstor für eine bundesweite Ausgangssperre

Außerdem ist es erforderlich eine kritische Grundhaltung gegenüber dem Änderungsentwurf des Infektionsschutzgesetzes, welches am Mittwoch (den 25.03.) im Bundestag verabschiedet werden soll, an den Tag zu legen. Dieses Gesetz stellt derzeit die rechtliche Grundlage bereit, auf der die politischen Krisen-Maßnahmen getroffen werden. Die Umsetzung der Maßnahmen ist bis dato Länder-Sache, erst dann entfalten diese eine rechtliche Verbindlichkeit. Ja, ein bundesweit abgestimmtes Verfahren zum Treffen von Schutzmaßnahmen betrachten wir als sinnvoll.

Aber: die Befugnisse für Entscheidungen über so radikale, einschränkende Maßnahmen wie bspw. einer Ausgangssperre dürfen nicht nur beim Bund liegen. Dieser Gesetzesentwurf könnte das Einfallstor für eine Ausgangssperre sein. Eine Ausgangssperre lehnen wir strikt ab und diese gilt es zu verhindern! Denn sie befördert soziale Isolation und die Wirksamkeit bzgl. der Eindämmung des Virus ist noch nicht allumfassend wissenschaftlich belegt.

Die Gefahr der Wiederkehr eines autoritären Staates und seiner Gesellschaft

Soweit so schlecht. Gut ist, dass heute zwei Tage nach Bekanntgabe der aktuellen Leitlinien zum Kontaktverbot ein medialer Diskurs, über die Abwägung der Verhältnismäßigkeit zu verzeichnen ist. Verschiedene Politiker_innen und zivilgesellschaftliche Akteur_innen meldeten sich kritisch zu Wort. Die Gefahren der Entwicklung eines autoritär agierenden Staates werden vereinzelt erkannt und benannt.

Dennoch: die Mahnungen müssen seitens einer kritischen Zivilgesellschaft lauter werden und es gilt die gesellschaftlichen Entwicklungen genau im Blick zu behalten. Es bereitet uns Sorge, wenn Politiker_innen die Weitergabe von personalisierten Mobilfunkdaten fordern. Es bereitet uns zudem Sorge, wenn Menschen anfangen Selbstjustiz zu ergreifen. Es darf nicht sein, dass ein Klima der gegenseitigen Denunziation entsteht. Es gilt sich dem konsequent entgegen zu stellen, wenn Menschen anfangen „Bürgerpolizei“ zu spielen – oder Strichlisten über vorbei laufende Passant_innen vom Fenster aus zu führen.

Klärt stattdessen gern euer Umfeld über die medizinischen Risiken auf, schaut wo Klärungsbedarfe entstehen und verweist auf wissenschaftlich verlässliche Quellen wie der des Robert-Koch-Instituts.Die Welle nachbarschaftlicher Solidarität ist überwältigend. Das Sich-Aushelfen und Unterstützen derjenigen, die Hilfe benötigen. Gegenseitige Schuldzuweisungen oder z.B. die Überwachung der Nachbar_innen, mit wem diese sich wie oft treffen, haben jedoch rein gar nichts mit gegenseitiger Achtsamkeit und Solidarität zu tun.

Was bedeuten Kontaktverbote für bestimmte gesellschaftlich benachteiligte Personengruppen?

Für ein solidarisches Miteinander ist es für uns auch wichtig, alle hier lebenden Menschen und deren individuelle Lebenslagen mitzudenken und deren Bedarfe auf dem Schirm zu haben.Wir schauen mit Sorge auf die psycho-sozialen Folgen, welche sich aus den Kontaktverboten ergeben und entwickeln werden. Die psychologischen Folgewirkungen durch soziale Isolation betreffen uns alle.  Doch sind Personengruppen, welche schon vor der Pandemie gesellschaftlich benachteiligt wurden – wie Geflüchtete, Hartz IV Beziehende, Frauen*, Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder Obdachlose – in besonderem Maße betroffen.
Zahlen aus Italien und China sagen uns voraus, dass zukünftig die Fallzahlen an häuslicher, geschlechtsspezifischer Gewalt zunehmen werden.“Laut einer Pekinger Frauenrechtsorganisation war die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt, die sich während der verordneten Quarantäne an die Hilfsorganisation gewandt haben, dreimal so hoch wie zuvor.Etliche Kinder und Frauen werden mit Angst auf die nächsten Tage und Wochen zu Hause schauen.
Die langjährige Forderung vieler Flüchtlingsräte, Geflüchtete dezentral unterzubringen, zeigt genau jetzt höchste Relevanz. Schon unter „Normalzuständen“ ist die Unterbringung von Geflüchteten in Sammelunterkünften eine psychische Zumutung für die Betroffenen. In dieser besonderen Lage verschärft sich diese Situation abermals. Allein schon die räumlichen Möglichkeiten von Sammelunterkünften können den erforderlichen Mindestabstand von 2m nicht gewährleisten. Daher: Geflüchtete müssen selbstbestimmt über ihren Wohnraum entscheiden können und dezentral untergebracht werden!

Also: Bleibt kritisch und solidarisch – auch in diesen Zeiten!


* Vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte: Corona und Grundrechte: Fragen und Antworten. [URL: https://freiheitsrechte.org/corona-und-grundrechte/, Stand: 23.03.2020].** Bff – Frauen gegen Gewalt: Gemeinsames Statement zur Coronakrise: Wenn das Zuhause kein sicherer Ort ist. [URL: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/aktuelles/nachrichten/nachricht/coronakrise-wenn-das-zuhause-kein-sicherer-ort-ist.html, Stand: 19.03.2020]. 


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