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Debatte

Coronopoly – wer gewinnt, wer verliert

Gastbeitrag von Solero – Solidarisch Leben in Rostock

Ohne Frage, diese Pandemie betrifft uns alle – jede und jeder von uns kann sich anstecken, genauso treffen auch allgemeine Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen alle.
Und doch – die Pandemie greift nicht in einer Gesellschaft der Gleichen um sich, sondern in einer Gesellschaft der materiellen Unterschiede, sie legt ihre Finger in vorhandene Wunden, reißt Differenzen noch weiter auf und zieht kräftig an der Schere zwischen arm und reich. Diese Pandemie trifft uns, Lohnabhängige, prekär Beschäftigte, Menschen, die von Transferleistungen abhängig sind, in besonderem Maße, und das auf verschiedenen Ebenen:


Schon vor der Pandemie gab es einen bedeutenden Zusammenhang zwischen Gesundheit und Klasse. So wurde in einer Datenauswertung von 2019 festgestellt, dass die Lebenserwartungen von Frauen in der niedrigsten Einkommensgruppe 4,4 Jahre geringer ist als in der höchsten Einkommensgruppe. Bei Männern liegt dieser Unterschied sogar bei 8,6 Jahren 1. Platt gesagt: Je weniger wir verdienen, umso früher sterben wir. Nun gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass diese Unterschiede auch und besonders in der aktuellen Corona-Situation zum Tragen kommen. Das Risiko, sich mit Covid-19 zu infizieren, ist offensichtlich höher, wenn wir in beengten Wohnverhältnissen, in Sammelunterkünften etc. leben, auf Fahrten mit überfüllten öffentlichen
Verkehrsmitteln angewiesen sind. Schlecht bezahlte Jobs sind häufig die, die als systemrelevant eingeschätzt werden – als Verkäufer*innen, Pfleger*innen und im Lebensmittelbereich könnten wir nicht – anders als in vielen besser bezahlten Berufen – aufs Homeoffice ausweichen und sind damit unweigerlich mit vielen Menschen im Kontakt 2.
Und auch wenn wir uns infiziert haben, ist das Risiko eines schweren Verlaufs unterschiedlich, je nachdem, in welcher materiellen Lage wir uns befinden. So ist das Risiko, mit einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus aufgenommen werden zu müssen in Deutschland besonders hoch bei Menschen, die schon längere Zeit erwerbslos sind und deutlich niedriger bei Menschen, die einer Lohnarbeit nachgehen.3 Für andere Länder gibt es ähnliche Erkenntnisse, die zum Beispiel nach Wohnort unterscheiden und in den USA zeigen konnten, dass in Wohngebieten, in denen mehr Menschen mit geringem Einkommen, v.a. People of color leben, auch die Wahrscheinlichkeit eines schweren
Covid-19-Verlaufs höher ist.
Es lässt sich leicht fantasieren, weshalb dies so ist. Als Menschen mit geringem Einkommen durch Lohnarbeit oder Transferleistungen leben wir oft in industrienahen Stadtteilen mit hoher Luftverschutzung, die zu Vorerkrankungen führen und uns anfälliger für Covid-19 machen. Im ländlichen Raum ist die Situation der Hausärzt*innen oft schlecht, lange Anfahrtswege erhöhen die Hürde, eine medizinische Erstversorgung in
Anspruch zu nehmen. Aber auch viele weitere Faktoren, die eher über psychische Phänomene wie Stress vermittelt sein könnten, können zu einer schlechteren körperlichen Grundvoraussetzung führen, um mit einem Virus umzugehen.

Nicht nur das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, einen schweren Verlauf der Krankheit zu haben oder zu sterben, ist für uns als Menschen mit geringem Einkommen aus Lohnarbeit oder Transferleistungen höher. Auch die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen werden, treffen uns besonders hart. Ja, wir alle müssen auf Kontakte
verzichten, Teile unseres gesellschaftlichen Lebens auf Eis legen und uns in vielen Bereichen einschränken. Aber dies trifft uns besonders hart, wenn wir mit vielen Personen in kleinen Wohnungen oder Sammelunterkünften leben, wenig Geld für digitale Kommunikation haben, wenn wir Kinder haben oder sind, wenn unser soziales Netz klein ist, wenn wir mit gewalttätigen Menschen zusammenleben und wenn wir sowieso schon so viel Stress haben, dass eine weitere Belastung kaum aushaltbar ist.


Die Folgen dieser Corona-Zeit werden uns noch lange beschäftigen. Wie sich die wirtschaftlichen Einschnitte auswirken, ist noch nicht endgültig zu sehen. Aber klar ist jetzt schon, dass es nicht die reichen Menschen sind, die Einbußen durch Corona hinnehmen müssen. In Deutschland und weltweit ist die Zahl der Millionäre während der Pandemie weiter gestiegen.4 Einige wenige können immer mehr Vermögen anhäufen, während wir von Kurzarbeit und Jobverlusten betroffen sind. So sind Menschen, die schon vor der Pandemie wenig verdient haben, häufiger von Einbußen betroffen als Menschen mit hohen Einkommen und diese Einbußen betreffen dann auch noch einen höheren Anteil ihres gesamten Einkommens.5 Wieder platt zusammengefasst: Je weniger wir verdienen, umso wahrscheinlicher müssen wir durch Corona auf einen besonders großen Teil unseres Einkommens verzichten.


Die Corona-Pandemie zeigt damit einmal mehr, wie unmittelbar materielle Ungleichheit und gesundheitliche und soziale Ungleichheit miteinander verbunden sind. Wir erleben es ständig in unserem Alltag. Wir erleben Abwertung, einen schlechteren Zugang zu Teilen des gesellschaftlichen Lebens, Existenzangst, Stress und Unverständnis.
Wir stehen deshalb an der Seite derer, die in der Pandemie die Abfederung materieller Not für Haushalte mit geringem Einkommen fordern. Die Erwerbsloseninitiative „Tacheles“ aus Wuppertal hat dazu sehr gute Forderungen aufgestellt 6.
Wir finden, dass die Diskussionen um eine Vermögenssteuer und ein bedingungsloses Grundeinkommen in der aktuellen Zeit wichtige Fragen der gesellschaftlichen Verteilung aufgreifen. Der real stattfindenden Verteilung von unten nach oben wird hier eine Verteilung in die entgegengesetzte Richtung entgegengehalten. Und uns gefallen die Forderungen des Bündnisses „Wer hat, der gibt“ nach Enteignung der Superreichen gerade in der aktuellen Krise 7. Letztlich geht es uns darum, dieses System zu überwinden, in dem Ungleichheit gebraucht und ständig verstärkt wird.
Wenn wir gegen Hartz IV und für höhere Löhne kämpfen, dann tun wir dies nicht, um uns einfach nur mehr (unnötige) materielle Dinge leisten zu können. Wir tun es, um ein langes und gutes Leben für alle möglich zu machen. Wir kämpfen, weil wir Gerechtigkeit auf allen Ebenen wollen. Weil wir wissen, dass wir keine Menschen zweiter Klasse sind und es deshalb nicht hinnehmen, die Risiken dieser Gesellschaft auf unseren Schultern zu tragen.

Gastbeitrag von Solero – Solidarisch Leben in Rostock

Fussnoten:

1 https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/5909/JoHM_01_2019_Mortalitaet_Lebenserwartung.pdf
2 Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, ist laut des Sozio-ökonomischen Panels deutlich höher bei Personen, die in einer höheren Einkommens- und Bildungsschicht sind, sie können somit ein Infektionsrisiko im Arbeitskontext besser reduzieren.
3 https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.06.17.20133918v1
4 https://boerse.ard.de/anlagestrategie/vorsorge/trotz-corona-mehr-millionaere-indeutschland100.html
5 https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=9133
6 https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2642/
7 https://werhatdergibt.org/

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