Redebeitrag der Initiative Solinetz vom 10.01.2022 auf der Kundgebung in der Hermannstraße vor dem Gewerkschaftshaus
Als vor zwei Jahren die Pandemie begann, war vielen klar, dass es jetzt schnelle und praktische Hilfe braucht für alle, die durch das Virus betroffen waren. Beim Solinetz meldeten sich schnell Dutzende Freiwillige, die denen halfen, die in Quarantäne saßen oder nicht mehr wussten, wie sie ihren Alltag bewältigen konnten.
Seit dem sind jede Menge Pakete mit Lebensmitteln durch die Stadt gefahren, Umzüge organisiert und Internet-Verbindungen eingerichtet worden. Das Gefühl, wieder handlungsfähig zu sein, breitete sich aus. Tatsache ist, dass es diese solidarischen Netzwerke sind, in denen eigenständige Individuen handeln, die den Kampf gegen das Virus ermöglichen.
Das heißt für uns auch, unseren Mund gemeinsam mit denjenigen auf zu machen, die so oft vergessen werden. So z.B. wenn das Recht auf Abstand in Geflüchtetenunterkünften in Rostock mit Füßen getreten wird. Grüße gehen hier auch an unsere Freund_innen von Rostock-hilft, die heute ein mehrsprachiges Impfangebot organisiert haben. Das ist praktische Solidarität!
Die Erfahrungen, die man selbst gemacht hat; das Wissen um die Gefahr, Leute auf die fehlende Maske in der Bahn anzusprechen; die Wut über die Unvernunft und den Egoismus, der als Freiheit verkauft wird; Long-Covid im Freund/innenkreis und die lange Einsamkeit in der Selbstisolation – oder im schlimmsten Fall: tödliche Verluste, die man durch Corona ertragen muss – diese Erfahrungen machen uns traurig und wütend und – wie die letzten Wochen gezeigt haben – sprachlos angesichts einer wachsenden Anzahl an Leuten, die offenbar nur zu gern ihre Fähigkeit zu denken eintauschen gegen das Recht zu marschieren.
Die Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit angesichts der Montagsproteste waren ja auch nur zu verständlich: Die Versammlungen wirkten auf den ersten Blick nicht wie der klassische antifaschistische Playground. Als es den Ungeimpften mit Sendungsbewusstsein eng wurde, weil sie seit Dezember endlich nicht mehr überall rein dürfen, fanden sich doch erstaunlich viele Leute im Rosengarten zusammen, die „ganz normal“ aussahen: sie könnten unsere Nachbarin, unser Friseur oder unsere Tante sein.
Und die Inszenierung war schlau: die Demonstration wurde beworben mit einer Absage, sich spalten zu lassen. Es sollte angeblich etwas gegen Diskriminierung getan werden. Sie inszenierten sich im Prinzip als Grundrechtsbewegung. Und wer kann da was gegen haben? Um so mehr man hinhörte, desto völkischer wurde der Sound der Veranstaltungen dann aber doch. Jens Kaufmann behauptete als Redner, dass „die da oben“, die Politiker, „uns“, „das Volk“ spalten würden in Geimpfte und Ungeimpfte.
Begleitet vom Applaus der Menge, konnte er irgendwelche Lügen über Impfungen verbreiten, die die Massen emotionalisierten. Und gleich im ersten abgespielten Song der Demo rappte einer dieser Verschwörungsmusiker was von dunklen Mächten und Marionettenspielern, die mit Hilfe des Virus ihre Interessen durchsetzen würden. Deutlicher ist Antisemitismus in der Popmusik heute nicht zu haben.
Ist es also ein Wunder, dass sich einen Monat später Neonazis zu Hunderten dort einfinden und wohlfühlen, wo unter dem Tarnumhang einer Bürgerrechtsbewegung ausschließlich völkischer Müll verbreitet wird? Wir finden es nicht verwunderlich.
Werden völkische Ideologien erst dann zum Problem, wenn sie von Leuten vertreten und beklatscht werden, die sich selbst als nationale Sozialisten bezeichnen? Finden wir auch nicht.
Und sollte es ein antifaschistisches Anliegen sein, dass es den völkischen Superspreadern – egal ob mit Klangschale oder Glatze, mit Peace-Fahne oder Quarzsandhandschuhen – dass es ihnen ungemütlich wird auf Rostocks Straßen? Ja auf jeden Fall!
Die sind gefährlich und die haben mächtig Oberwasser. Antifaschist/innen sind genauso verwirrt wie die Cops, wie man mit dieser neuen Situation umgehen soll. Für uns steht aber fest, dass man mit denen, solange sie auf dieser Demo marschieren, nicht zu reden braucht. Argumenten unzugänglich warten sie doch nur auf die nächste Bühne, um ihre Gruselmärchen zu verbreiten.
Was man machen kann ist im kleinen Rahmen mit Leuten reden, bei denen man sich Sorgen macht, wie weit sie sich wohl schon im Telegramm-Channel verlaufen haben.
Was wir machen sollten ist gelebte Solidarität in widerständigen Kollektiven, in denen das Ich nicht in der Masse verschwindet.
Wir brauchen eine echte Debatte über die gesellschaftlichen Folgen von Corona und staatliche Eingriffe. In dieser Debatte dürfen völkische Ideologien und Neonazis aber keinen Platz haben.
Passt auf euch und eure Leute auf. Sorgt euch um diejenige, die müde oder allein sind und um diejenigen, die im Gedrängel der Ellbogen-Gesellschaft unter gehen.
Lasst uns gewerkschaftliche Bewegungen im Gesundheitssektor und überhaupt sichtbar machen und unterstützen.
Und lasst uns einen Standpunkt entwickeln, der selbstbewusst die Freigabe von Impfpatenten thematisiert und einfordert. Das ist eine dezidiert linke Position zu Big Pharma in Pandemiezeiten: wir finden Impfungen so gut, dass sie alle haben sollten.
Dankeschön.